Podcast - Umweltzerstörung im Chemiedreieck - Informationen zur Stasi - Stasi-Unterlagen-Archiv

2022-08-19 18:35:48 By : Ms. May Zhang

Die Bestandsübersichten bieten einen ersten Überblick über Inhalt, Umfang und Benutzbarkeit der im Stasi-Unterlagen-Archiv verwahrten Unterlagen.

Informationen zu den Beratungsangeboten, den Möglichkeiten und den Bedingungen der Einsicht in die Stasi-Unterlagen.

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Maximilian Schönherr (links) und Martin Stief , Quelle: BArch

Im Chemierevier Halle-Bitterfeld in der DDR regte sich in den 1980er Jahren zunehmend Protest der Bevölkerung gegen die massive Umweltzerstörung durch die Industrieproduktion. Martin Stief erklärt im Gespräch, wie die Stasi angesichts einer zunehmend umweltbewussten Bevölkerung und handlungsunfähiger Behörden und Betriebe Umweltprobleme vertuschte, indem sie für eine strikte Geheimhaltung von Umweltdaten sorgte und dazu Wissensträger lückenlos überwachte und die staatlich unabhängige Umweltbewegung observierte und bekämpfte. Sein Buch zum Thema heißt "Stellt die Bürger ruhig!"

Sprecherin: "111 Kilometer Akten - [Ausschnitt einer Rede von Erich Mielke: ... ist für die Interessen der Arbeiterklasse!] - der offizielle Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs".

Dagmar Hovestädt: Willkommen zu einer neuen Folge. Ich bin Dagmar Hovestädt und leite die Abteilung Vermittlung und Forschung im Stasi-Unterlagen-Archiv im Bundesarchiv. Mein Co-Host hier im Podcast ist der Rundfunkjournalist Maximilian Schönherr.

Maximilian Schönherr: Heute dreht sich unser Podcast-Gespräch um die Umweltvergiftung und die Umweltbewegung der DDR. Wir sprechen mit deinem Kollegen Martin Stief, der dazu eine sehr umfassende Studie erstellt hat. Aber zuerst ein bisschen Erläuterung zum Stichwort Chemiedreieck, worunter man in der DDR - man würde heute sagen, die Hightech-Gegend um Halle an der Saale verstand. Die wichtigsten Orte für die großen Industriekombinate waren Leuna, Bitterfeld, Merseburg und Schkopau. Die Gegend war auch ein großes Braunkohle-Abbaugebiet.

Dagmar Hovestädt: Hightech für das Damals ist ein Wort, das fast etwas schmunzeln lässt. Denn die DDR hat die Chemiewerke nicht selbst neu gebaut, sondern hat auf teilweise über 50 Jahre alte Einrichtungen ihre Produktion aufgesetzt. Zum Beispiel hatte der Ludwigshafener Konzern BASF 1917 in Leuna ein riesiges Ammoniakwerk hochgezogen. Das hat dann zwei Weltkriege überlebt – also den letzten Rest des Ersten und dann den Zweiten - und wurde in der DDR weiter genutzt, da natürlich dann verstaatlicht, als Volkseigene Betriebe, also VEB.1968 kam es zum Beispiel in einer Halle dieses Chemiekombinats VEB Leuna-Werke zu einer schweren Explosion. Diese Werkshalle hatten die Nationalsozialisten 1935 gebaut. Was dann auch durch die sowjetische Besatzung an Strukturteilen und Maschinen entfernt wurde, ist schwer zu bemessen. Die DDR hatte einen enormen Produktionsdruck und das Improvisieren auf Basis der Altanlagen war Alltag. Im Vergleich könnte man sagen, dass das Chemiedreieck zwischen Halle und Leipzig quasi das Ruhrgebiet der DDR war.

Maximilian Schönherr: Ich ordne das mal geografisch kurz ein: Wenn man mit dem Auto eine halbe Stunde von Halle oder Leipzig nach Norden fährt, kommt man in Bitterfeld an. Fährt man mit dem Fahrrad von Halle nach Süden, gelangt man schon nach einer dreiviertel Stunde nach Schkopau, bekannt für die Kunststoffherstellung der DDR. Den Slogan kennt jeder, der auf der DDR-Transitstrecke von zum Beispiel Frankfurt aus nach West-Berlin fuhr: "Plaste und Elaste aus Schkopau".Zu DDR-Zeiten war die Gegend trübe, die Flüsse Saale und die Mulde nicht nur verschmutzt, sondern vergiftet. Da lebte kein Fisch mehr. Die ins Wasser gelassenen Schadstoffe schäumten aus den Bächen und Wiesen, sodass es oft sogar unmöglich war, einen Straßenrand auszumachen. Die Landwirte standen mit ihren verseuchten Äckern vor einem riesen Problem. Vom Grundwasser, das heißt von der Trinkwasserversorgung der Bürger und Bürgerinnen im 50 km Radius um Halle herum ganz zu schweigen. Heute sieht die Gegend völlig anders aus! Neue Betriebe haben sich angesiedelt, das Braunkohlegebiet Bitterfeld ist zum Idyll einer Seenlandschaft mutiert. Aber die Böden sind nicht gesund – wie auch, nach einer solchen massiven, jahrzehntelangen Umweltkatastrophe. Und die Bevölkerungsdichte ist seit dem Ende der DDR deutlich zurückgegangen.

Dagmar Hovestädt: Wie kritisch zu DDR-Zeiten die Bevölkerung mit diesen Missständen umging, ist Thema des Podcast-Gesprächs. Du sprichst online mit einem Historiker, meinem Kollegen Dr. Martin Stief. Sein Buch "Stellt die Bürger ruhig" trägt den Untertitel "Staatssicherheit und Umweltzerstörung im Chemierevier Halle-Bitterfeld". Martin Stief hat dafür jahrelang hier im Stasi-Unterlagen-Archiv, aber auch in dem Stasi-Archiv der ehemaligen Bezirksverwaltung für Staatssicherheit in Halle und anderswo recherchiert. Über die Umweltbewegung der DDR gibt es reichlich Literatur, aber die Rolle der Stasi dabei hat Martin Stief erstmals und ausführlich auf 450 Seiten dargelegt.

Maximilian Schönherr: In dem Gespräch kommen wir kurz auf einen Film des DDR-Umweltaktivisten Hans Zimmermann zu sprechen. Er hat der Redaktion der West-Fernsehsendung "Kontraste" heimlich gedrehte Aufnahmen aus der Chemie- und Bergbauregion zugespielt. Du hast bei "Kontraste" in Berlin gearbeitet. War Zimmermann dir ein Begriff?

Dagmar Hovestädt: Ehrlich gesagt: Nee, ich bin ja da auch erst wesentlich später eingestiegen im Jahr 1993. Zu dem Zeitpunkt war das alles schon - würde ich sagen - legendär. Das hat man schon dann auch gehört als junge Kollegin, die da reinwächst in die Redaktion. "Bitteres aus Bitterfeld" wurde im September 1988 ausgestrahlt und hatte eine enorme Resonanz. "Kontraste" - das muss man vielleicht auch noch aus der Zeit erinnern - war ja vor dem Mauerfall in der ARD das Polit-Magazin, das immer den Blick nach Osten richtete. Diese heimlich aufgenommenen Aufnahmen von den katastrophalen Zuständen der Umwelt waren extrem wichtig, aber weniger für das westdeutsche Publikum als für die vielen Menschen, die die Sendung in der DDR gesehen haben. Ihr eigenes Fernsehen hat ihnen so etwas nicht gezeigt und es hat viele aufgerüttelt zu sehen, wie unfähig die eigene Regierung war, diese Umweltzerstörung zu verhindern.

Maximilian Schönherr: Der Film ist jedenfalls in seiner deprimierenden Länge von über einer Stunde nachzusehen, zum Beispiel beim MDR oder auf YouTube.

Dagmar Hovestädt: Damit dann Bühne frei, für dein Gespräch mit Martin Stief über die Stasi-Aktivitäten im Chemierevier Halle-Bitterfeld.

Maximilian Schönherr: Ich will gerne das Szenario mal kurz aufmachen, quasi wie der Beginn eines politischen Theaterstücks, und nenne jetzt fünf Hauptinstitutionen, die hier mitspielen in unserem heutigen Podcast-Gespräch mit Martin Stief. Chemie- und Bergbau-Industrie der DDR.

Dr. Martin Stief: Die Chemie-Industrie der DDR spielte in der Umweltgeschichte eine riesengroße Rolle, eine Hauptrolle. Denn sie war der Produzent wichtiger Industrie- und Konsumgüter für den Binnenmarkt, aber auch für den Export. Aber alles Ökologische blieb da auf der Strecke und somit war die Großchemie eine der größten Umweltsünder der DDR.

Maximilian Schönherr: Dann gab es tatsächlich ein Umweltministerium der DDR. Welche Rolle spielte das?

Dr. Martin Stief: Ja, die DDR hat tatsächlich als eine der ersten europäischen Staaten ein Umweltministerium, aber man muss schon sagen, es spielte nur eine Nebenrolle. Denn das Ministerium war schlecht ausgestattet, hatte nur wenige Kompetenzen und konnte deshalb kaum Wirkung entfalten. Deshalb blieb die Umweltpolitik der DDR eigentlich eine Politik auf dem Papier.

Maximilian Schönherr: Und die Umweltbewegung in der DDR?

Dr. Martin Stief: Die Umweltbewegung der DDR war zahlenmäßig auch eine relativ kleine Bewegung, aber es waren hoch engagierte Gruppen, die das gemeinsame Ziel hatten, die Umweltzerstörung in ihren Heimatregionen offenzulegen und für mehr Umweltschutzmaßnahmen zu streiten. Und am Ende der SED-Herrschaft kann man sagen, dass sich diese Umweltgruppen von so einem unliebsamen Gegenspieler zu einer wichtigen Säule der Opposition entwickelten.

Maximilian Schönherr: SED haben Sie genannt. Das wäre für mich Nummer vier: Die SED-Führung mit Walter Ulbricht und ab 1971 mit Erich Honecker. Welche Rolle spielten die dabei?

Dr. Martin Stief: Die SED hat die alles entscheidende Führungsrolle in der DDR inne – ohne sie ging gar nichts. Mit der Umweltzerstörung war sie aber aus vielerlei Gründen total überfordert. Wirtschaftlich-ökonomisch bewegt sich die DDR immer am Abgrund, gerade in den 80er-Jahren. Der SED selbst fehlt auch der politische Wille für grundlegende Reformen und die wären nötig gewesen, um die Ursachen der Umweltverschmutzung in der DDR wirkungsvoll zu bekämpfen.

Maximilian Schönherr: Und Nummer fünf ist das Ministerium für Staatssicherheit. Was hatte die Stasi mit der Umweltbewegung zu tun?

Dr. Martin Stief: Hier könnte man, wenn wir im Bild bleiben, sagen, das ist der Spieler im Hintergrund: die Stasi. Die kümmert sich zwar nicht um die Aufklärung von Umweltsünden oder Umweltproblemen, aber sie versucht, das umweltpolitische Versagen der SED zu vertuschen. Ja? Also mit so einer umfassenden Geheimhaltung wollte man politischen Schaden eben von der SED-Führung abwenden.

Maximilian Schönherr: Wir haben jetzt die Agenten des Theaterstücks ungefähr festgelegt. Gehen wir mal ins Jahr 1965. Da waren die Grünen in der Bundesrepublik noch lange nicht gegründet. Es gab quasi kein Umweltbewusstsein in der Bundesrepublik, aber es gab ein Grundsatzurteil in der DDR. Wissen Sie, welches ich meine?

Dr. Martin Stief: Es geht um eine Schadensersatzklage, die das Oberste Gericht zugunsten des Klägers entscheidet.

Maximilian Schönherr: Bürger der DDR haben gesagt: Ihr vergiftet uns! Ihr macht meinen Acker kaputt und dafür will ich Schadensersatz haben!

Dr. Martin Stief: Genau. Und das Spannende ist: Das sind nicht mal nur Bürger, das sind sogar die landwirtschaftlichen und forstwirtschaftlichen Betriebe, die da klagen. Und es geht in die hohen Millionenbeträge. Weil einfach klar ist – oder: es wird auch in den 50er-/60er-Jahren empirisch nachgewiesen, dass eben die Schadstoffausstöße der großen Industrien dafür verantwortlich sind, dass bestimmte Kulturen nicht so in dem Maße wachsen, in dem sie wachsen könnten. Und da fällt das Oberste Gerichte der DDR eben 1965 ein Grundsatzurteil und dazu muss man wissen: Es gilt in der DDR noch das Bürgerliche Gesetzbuch. Und nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch war es eben so, dass ein Betroffener einen Emittenten, also einen Verursacher einer Emission, dazu verklagen konnte, die Produktion einzustellen. Und das Oberste Gericht der DDR sagte aber: Das geht so nicht, das würde uns die Volkswirtschaft zu sehr beschädigen! Aber ihr habt einen Anspruch darauf, Entschädigungszahlungen zu bekommen. Gleichzeitig sagt das Oberste Gericht aber auch: Ihr müsst euch aber auch der Situation anpassen! Also da, wo jetzt kein Weizen mehr wächst, aufgrund der Schadstoffposition, müsst ihr halt andere Kulturen, die eben Rauchgas-resistenter sind, anpflanzen. Aber das ist ein Grundsatzurteil, was dann lange Zeit, bis zum Ende der DDR gilt.

Maximilian Schönherr: Ihr müsst quasi ausweichen, denn die Industrie geht vor. Wenn die Industrie das oder jenes chemische Element auf die Äcker einbringt – Gift, Quecksilber zum Beispiel – dann müsst ihr euch eben ein Kraut überlegen, was ihr jetzt anstelle von Weizen anbaut.

Dr. Martin Stief: Genau. Es geht aber nicht um die gesundheitlichen Aspekte! Also, das wurde zum Teil bis weit in die 80er-Jahre überhaupt nicht untersucht. Sondern es geht in allererster Linie um die wirtschaftlichen Effekte. Also die Betriebe klagen darauf: Wir haben weniger Erträge und dadurch eben weniger Gewinne und die wollen wir jetzt eben erstattet bekommen von den Chemie- oder den Braunkohle-Kombinaten.

Maximilian Schönherr: Spielte bei dieser Sache, also Mitte der 1960er-Jahre, das Umweltministerium der DDR schon eine Rolle? Haben die gesagt: Betrifft auch unser Wasser?

Dr. Martin Stief: Nein, das Umweltministerium gibt es ja in der Form noch nicht. Und es ging jetzt da noch nicht ums Wasser, sondern es war ein Forstbetrieb aus der Region Halle (Saale), ich glaub aus der Dölauer Heide, der da wirklich auf Schadensersatz geklagt hat. Und da ging es noch nicht um gesundheitliche oder ökologische Aspekte, sondern in erster Linie wirklich um wirtschaftliche Aspekte. Wir brauchen einen Gewinnausgleich für unsere Einbußen!

Maximilian Schönherr: Aber in den 1960er-Jahren waren Ministeriums-Beamte zuständig für die Wasserqualität, natürlich. Also, die mussten dafür sorgen, dass das Trinkwasser trinkbar war und nicht vergiftet und nicht giftigen Schaum ausspie. Das lief aber nicht unter Umwelt, oder?

Dr. Martin Stief: Nein, das lief nicht unter dem Begriff "Umwelt", das kann man nicht sagen. Der Begriff "Umwelt" kommt erst später, eigentlich erst in den 70er-Jahren wird der adaptiert. Man sagt ja, Umweltschutz ist eine Erfindung des westdeutschen Innenministeriums, das ist so die Übersetzung, und wird dann in der DDR auch zunehmend übernommen. Aber konkret hieß es eigentlich "Schutz der sozialistischen Landeskultur". Das war sozusagen der DDR-eigene Begriff.Aber natürlich gab es auch schon immer Bezirks-Hygieneinspektion oder Kreis-Hygieneinspektion. Also sozusagen die dem Gesundheitsministerium oder Umweltministerium nachgeordnete Institutionen, die für die Überwachung genau dieser Grenzwerte zuständig waren. Und Wasser spielt in der DDR eine ganz wichtige Rolle und das sehen wir jetzt gerade wieder: Der Osten Deutschlands ist unheimlich trocken, es gibt keine großen Wasserläufe, es ist relativ niederschlagsarm. Und dann kommt in den 50er/60er-Jahren dazu, dass 1958 die SED ein großes Chemie-Programm aufsetzt und dafür braucht es enorme Mengen an Wasser. Es ist eben eine wasserarme Gegend und deswegen ist das so der erste Impuls gewesen, sich mit den wasserwirtschaftlichen Fragen im mitteldeutschen Chemiedreieck zu befassen.

Maximilian Schönherr: War diese Sache mit diesem Urteil 1965 im Stasi-Unterlagen-Archiv zu finden oder holten Sie diese Information aus anderen Quellen?

Dr. Martin Stief: Über das Grundsatzurteil bin ich, wenn ich mich recht erinnere, in der Sekundärliteratur gestolpert und das war kein Bestand der Stasi-Akten. Also, die Stasi-Akten sind für die Umweltfrage erst ab etwa 1980 fruchtbar. Alles, was davor ist, schlägt sich kaum in den Stasi-Unterlagen nieder.

Maximilian Schönherr: Ab dem 6. Oktober 1980.

Dr. Martin Stief: Etwa da, ja. Genau.

Maximilian Schönherr: Das war ein Artikel in dem damals noch bedeutenden West-Magazin "Spiegel" und dieser Artikel schlug ein wie eine Bombe. Dieser Artikel hat quasi auch die Umweltaktivisten und -aktivistinnen in der DDR auf den Plan gerufen, sich ein bisschen mehr zu trauen. Würde ich mal so einschätzen, nachdem ich auch in Ihrem Buch viel dazu gelesen habe. War das wirklich so ein Erdbeben in der DDR?

Dr. Martin Stief: Als Erdbeben würde ich es tatsächlich noch nicht bezeichnen und ich bin mir auch gar nicht sicher, wie breit dieser Artikel von der einfachen Bevölkerung rezipiert wurde, also wie der wahrgenommen wurde. Aber: Die Stasi nimmt ihn wahr. Und das ist eigentlich viel wichtiger, weil die Stasi da einen Angriff des Westens – heißt es immer - Die wollen jetzt hier eine Diskriminierungs- oder Diskreditierungskampagne gegen uns starten und jetzt gehen wir dem mal auf den Grund! Und im Rahmen dessen versucht eben die Wirtschaftsüberwachung aus dem Bezirk Halle – also jede Bezirksstadt hatte auch eine Bezirksverwaltung der Staatssicherheit und da gab es die Abteilung XVIII, die war zuständig für die Überwachung der Volkswirtschaft im Bezirk. Und die bilden dann eine Arbeitsgruppe und Auftrag der Arbeitsgruppe ist es, die Vorwürfe und diese ganzen Umweltskandale, die der "Spiegel" aufmacht, zu überprüfen. Ob das tatsächlich so ist oder ob das irgendwie an den Haaren herbeigezogene Skandale sind. Und dann stellen die Stasi-Offiziere aber relativ schnell fest, dass die Situation so ist, wie sie im "Spiegel" geschildert wurde, nämlich eklatant! Und in weiten Teilen sogar noch viel schlimmer, weil der "Spiegel" nämlich gar nicht auf aktuelle Daten zurückgreifen konnte. Dabei stellen sie fest, bei ihren Ermittlungen, weil sie dann zum ersten Mal mit, sagen wir, den ganzen Fachleuten aus dem Umwelt- und Wasserschutzbereich zusammenkommen, dass in der Bevölkerung schon ganz großer Unmut herrscht. Dass schon unheimlich breit in der Bevölkerung darüber diskutiert wird: über das Waldsterben, über die Versuchung der Flüsse, über die Devastierung der Böden, über die Luftverschmutzung. Das hatte die Stasi aber in der Breite nicht auf dem Schirm. Aber da fällt es der Stasi zum ersten Mal auf und damit macht sie es eben zu einem Thema für sich.

Maximilian Schönherr: Obwohl der Bitterfelder Gemeindepfarrer Matthias Spenn – das schreiben Sie auch in Ihrem Buch – schrieb: Für Monatslöhne von 2.000 bis3.000 Mark wird das Desaster eben in Kauf genommen. Das heißt, man putzt brav wöchentlich oder täglich die Fenster, die völlig verklebt sind von den Dämpfen, von den Abgasen, und man versucht da irgendwie, sich durchzuwurschteln. Man wandert vielleicht auch ab, weil man diese Arbeitsverhältnisse nicht mehr aushält. Aber im Grunde gibt es kein Protest, weil die Bürger finanziell abgesichert sind.

Dr. Martin Stief: Ja, ganz sicher. Das ist eine ganz starke Verwebung eben dieser unterschiedlichen Interessen. Natürlich ist das sich einrichten oder sich gewöhnen sehr wahrscheinlich die verbreitetste Reaktion. Es wird dann eben noch kompensiert durch höhere Löhne, durch eine bessere soziale Versorgung oder eine bessere Versorgung mit Produkten. Ich kann aber auch zeigen, dass da bestimmte Grenzen auch erreicht sind. Auch die höheren Löhne – gerade die Abwanderung, die Sie angesprochen haben, ich glaube, ich bin einer der Ersten, der das wirklich mal auf die Umwelt runterbrechen kann und auch zeigen kann, dass damals in den Chemie-Kombinaten die Leute, die gekündigt haben, danach befragt wurden: Und warum kündigt ihr? Und in den frühen 80er-Jahren ist der Hauptkündigungsgrund die Arbeits- und Lebensbedingung, also die Umweltbedingung. Da geht es nicht darum: ich habe keine Wohnung oder ich verdien zu wenig, sondern: ich kann und will unter diesen Umständen nicht mehr leben. Und vor allem junge Menschen, junge Familien, junge Facharbeiter – die verliert man. Die älteren, die sich da schon - was weiß ich - ein Häuschen gebaut haben oder eine Wohnung haben, die irgendwie verankert sind, die sind nicht mehr so mobil. Aber die jungen Fachleute fliehen. Und gerade der Kreis Bitterfeld, der Bezirk Halle hat überdurchschnittliche Abwanderungsquoten, ähnlich wie der Bezirk Leipzig, der ja ähnlich stark belastet war. Und das kriegen die dann auch mit höheren Löhnen und höheren Prämien nicht mehr eingefangen, sondern die müssen dann zu Substitutionen kommen und dann werden eben Bausoldaten oder Strafgefangene eingesetzt.Das andere ist – und das beschreiben viele, die sich mit dem Thema beschäftigen - auch innerhalb der Betriebe. 1953, der große Volksaufstand, der ging von den Betrieben aus. Aber die Lehre, die man aus dem Volksaufstand zog, war: Wenn wir kollektiv protestieren und politische Reform fordern, dann werden wir niedergeschlagen. Dann wird eben auf Repression gesetzt und damit können wir nichts erreichen und wir werden kriminalisiert und müssen Haftstrafen fürchten. Es ist also hoch riskant mit wenige Aussicht auf Erfolg. Und dann gibt es eben diese Möglichkeit, sich individuell zu beschweren und dann eben den Weg über Eingaben zu suchen. Und der ist eben wenig riskant, weil es legitim ist, es ist rechtlich abgesichert und es ist erfolgsversprechend, weil ich mit meinem individuellen Problem zu einem Verantwortlichen gehe und mit dem zusammen eine Lösung für mein Problem suche. Und das war auch ganz im Sinne der SED. Keine kollektiven Vorwürfe, keine kollektiven Proteste, sondern alles auf der niedrigschwelligsten Ebene miteinander aushandeln.

Maximilian Schönherr: Und es war auch ein Problem für die Stasi, denn die Stasi hatte dann kein richtiges Feindbild zum Ausspionieren. Das waren ja ganz ordentliche Genossen, die dann sagten: Der Fluss ist zu verschmutzt – macht mal was dagegen! Das sind ja keine subversiven Gruppen gewesen, obwohl man es dann später so umdefiniert hat.

Dr. Martin Stief: Na, man definiert es nicht ganz um, sondern man nimmt sie einfach noch stärker in den Blick, und ich glaube, dass die Wissenschaftler, die damit beschäftigt waren – also es gibt so Einzelfälle, wo es so Überschneidungen gibt. Das habe ich auch in Halle, also ich habe mich ja besonders mit dem Bezirk Halle beschäftigt, auch gefunden. Es gibt dann junge Familienväter, die arbeiten in der Wasserwirtschaftsdirektion, werden dann eben gerade Väter und engagieren sich dann in kirchlichen oder unabhängigen Umweltgruppen. Die werden dann aber nach so einem "Umweltwochenende", wo die zum Beispiel Vorträge halten Wie kann man das Wasser besser schützen? Also individuell: weniger Weichspüler verwenden, weniger Seife, also alles, was man so im Einzelnen machen kann. Die werden einfach die Woche da drauf zu ihrem Chef zitiert mit der klaren Ansage: Noch einen solchen Auftritt auf so einem Umweltwochenende der Kirche und ihr seid euren Job los! Also die werden relativ schnell eingeschüchtert, ne. Dafür geht keiner in den Knast und dafür wird auch keiner verhaftet, aber es gibt eben diese, ja, unterschwellige Einschüchterung über die ganzen Mitspieler und in dem Fall war es eben die Wasserwirtschaftsdirektion.Aber die, die da arbeiten und auch gegenüber der politischen Führung sagen: Wir brauchen jetzt wirklich mal Investitionsmittel, wir müssen jetzt mal mehr Forschung machen. Das sind für die Stasi keine Staatsfeinde, sondern sie können da und da mal unbequem werden. Aber mein Gefühl war, dass die Offiziere dieser Wirtschaftsüberwachung in Halle durchaus verstanden haben, dass da was passieren muss. Sie haben aber für sich einschätzen müssen: Aufgrund der aktuellen Wirtschaftslage - und man darf eben nicht vergessen, 1981/82 steht die DDR kurz vorm Staatsbankrott und kann sich wirklich nur über eine Milliardenbürgschaft der Bundesrepublik retten - die sehen einfach keine Spielräume für Investitionen in Umweltschutzmaßnahmen. Ganz im Gegenteil! Die kommen zu einer ganz realistischen Einschätzung und sagen: Die Situation wird sich sogar noch verschlechtern, denn noch mehr als zuvor müssen wir auf die Braunkohle setzen. Das Erdöl wird umtransferiert, geht in die Erdölchemie, da werden hoch entwickelte Produkte für den West-Markt produziert, um die West-Verschuldung abzubauen, aber im Inland kommt immer mehr Braunkohle zum Einsatz, ohne dass man eine entsprechende Filtertechnik hat oder geschweige denn das Geld hätte, um die ganze Industrie und die ganzen Heizkraftwerke mit Filtern auszustatten. Also, man ist sich schon bewusst, diese Situation wird eigentlich noch schlimmer.

Maximilian Schönherr: Sie schreiben von einem Oberstleutnant Rolf Schöppe, der da Stellung nimmt und quasi nicht zu dem Ergebnis kommt, das sind lauter böse Leute, die hier protestieren, sondern da ist wirklich vieles nicht gut, was wir ändern müssten. Stieß der auf Resonanz beim Umweltministerium der DDR oder bei der SED-Führung?

Dr. Martin Stief: Ich denke, im Umweltministerium dürfte er schon offene Türen eingerannt haben. Und es gibt auch, das ist eine ganz wichtige Institution – das muss man vielleicht mal erklären! Das Umweltministerium wird eingerichtet, hat aber nur wenige Kompetenzen bis Anfang der 80er-Jahre. Zum Beispiel für die ganze Luftverschmutzung ist das Gesundheitsministerium zuständig und nicht das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft. Erst Anfang der 80er-Jahre gelingt es Hans Reichelt, der war damals eben Umweltminister, mehr Kompetenzen in seinem Haus zu sammeln. Der holt sich unterschiedliche Institutionen und dann gelingt es ihm Mitte der 80er, die staatlichen Umweltinspektionen in der DDR einzuführen, also die ersten wirklich übergreifenden Überwachungsinstitutionen. Bis dahin haben das die Bezirke für sich gemacht und dann gab es im Rat des Bezirkes die Abteilung Umweltschutz und Wasserwirtschaft. Und die muss man sich anschauen, gar nicht so sehr das Umweltministerium, weil das nicht so viel gestalten konnte. Heute wäre es in der Bundesrepublik eine Ländersache. Damals hießen die Länder in der DDR Bezirke und die Umweltpolitik wurde hauptsächlich in den Bezirken gestaltet. Und da kann man schon so einen Wandel nachzeichnen, weil die auch merken: Der Druck aus der Bevölkerung wird größer und wir können jetzt nicht mehr so - salopp formuliert - larifari gegenüber den Emittenten auftreten, sondern wir müssen hier zu einer klareren und härteren Sprache kommen. Und das beschreibe ich in meinem Buch auch anhand der Sanktionspolitik, die dann tatsächlich etwas härter wird. Führt nicht mehr zu einem durchgreifenden Erfolg, aber mit ihren Einschätzungen - und das muss man auch sagen: Die Stasi holt sich ihre Einschätzungen von den Experten. Das heißt, nicht die Stasi informiert die Experten, wie die Lage ist, sondern die Experten informieren die Stasi, wie die Lage ist. Und auch alles das, was die Stasi Anfang der 80er-Jahre eben bis nach oben meldet, ist nicht auf ihrem Mist gewachsen, sondern wird abgeschöpft aus den ganzen staatlichen Umwelt- und Gesundheitsinstitutionen der DDR. Nur: Die wurden nicht wahrgenommen! Das nochmal dazu.

Maximilian Schönherr: Wissen wir, was aus dem Rolf Schöppe wurde?

Dr. Martin Stief: Ich habe zu Rolf Schöppe überhaupt nichts gefunden, aber das ist vielleicht auch für die Quellen nochmal. Das ist mir das erste Mal passiert im Umweltbereich, dass ich so einen gewissen Einblick - bilde ich mir zumindest ein - in die Wissensbildung eines Stasi-Offiziers machen konnte. Weil man einfach sehr gut nachvollziehen konnte: Er beginnt eben 1982 mit der Absicherung der Umwelt im Bezirk Halle und dann sieht man die ganzen Arbeitsschritte. Der fährt zu jedem Chemie-Kombinat, unterhält sich mit den Verantwortlichen, fährt in die entsprechenden staatlichen Institutionen und dann entstehen da so Lagebilder. Und die Lagebilder muss er immer wieder dokumentieren und die habe ich mir eben angeguckt und da sticht er eben heraus.Ansonsten wissen wir aber kaum etwas darüber. Wie haben die eigentlich gedacht? Die wohnen ja selber da und die haben ja selber Kinder, die haben ja selber Familie. Und da fragt man sich jetzt schon: Wie seid ihr damit eigentlich umgegangen? Wie ging es euch damit? Aber das schlägt sich in den Stasi-Unterlagen nicht nieder und von daher – der war für mich nicht greifbar.

Maximilian Schönherr: Wenn wir beim Schöppe noch eine Sekunde bleiben: Wie viele Zettel haben Sie da gefunden im Stasi-Unterlagen-Archiv? So Pi mal Daumen?

Dr. Martin Stief: Vielleicht ein Leitz-Ordner. Also, mit dieser Anfangsphase vielleicht ein Leitz-Ordner. Aber mit allem Drum und Dran und mit allen Informationen. Von ihm selber würde ich sagen: vielleicht fünf Berichte à so fünf oder sechs Seiten, die er selber verfasst hat.

Maximilian Schönherr: Wenig später, zum Beispiel am Weltumwelttag am 5. Juni 1983, kam es zu Fahrraddemos, die hatten mit der Umwelt zu tun. Da wurden schon einige und zwar Dutzende von Radfahrern, die sich teilweise da völlig harmlos fanden - fahren am Sonntag noch ein bisschen Fahrrad - wurden abgegriffen und eben zunächst mal verhaftet und dann mit Strafen belegt, die saftig waren. Also ein paar hundert Ost-Mark. Steckte da die Stasi dahinter?

Dr. Martin Stief: Ja, ganz eindeutig. Also, für diese Fahrraddemonstration: Die Ursprungsidee kommt aus dem Kirchlichen Forschungsheim Wittenberg und war eigentlich darauf aus, so ein bisschen weniger politisch, als es dann in Halle und auch in Berlin passiert. Die Idee war: Wir wollen mal zeigen, dass man auf das Auto verzichten kann, und machen jetzt so eine symbolische Aktion. Aber das war so erfolgreich, dass vor allem evangelische Studentengemeinden und auch so, in Halle ist es dann die offene Jugendarbeit unter dem Diakon Lothar Rochau, dass die so eine Idee aufgreifen. Und Jugendliche neigen halt dazu, alles ein bisschen mehr aufzupeppen, alles ein bisschen provokativer und ein bisschen provokanter zu gestalten, und jetzt binden die sich da Mundtücher um, schmücken mit Ballons und Plakaten ihre Fahrräder und brechen eben auf zu den Buna-Werken, um da eine Schweigeminute durchzuführen. Und das kriegt die Stasi relativ früh mit über inoffizielle Mitarbeiter in diesen Gruppen und die lassen das auflösen von einer Hundertschaft der Polizei. Und die werden wirklich alle auf Lkw verfrachtet, die werden verhaftet und verhört und die bekommen, wie Sie schon sagen, saftige Bußgelder. Aber da steckt ganz eindeutig die Staatssicherheit dahinter. Am besten ist es dokumentiert für Ost-Berlin, wo die Staatssicherheit einen großen Operativen Vorgang, also einen Überwachungsvorgang, einleitet mit dem Decknamen "Ventil" und da über Jahre hinweg die Organisatoren oder vermeintlichen Organisatoren der Fahrraddemonstration verfolgt.

Maximilian Schönherr: Kreativer Titel – "Ventil". Und das Foto – ein tolles Foto, ein Stasi-Foto! In Ihrem Buch kommt es auch vor, wo man einen Fahrradfahrer sieht mit einer Gasmaske. Haben Sie das aufgetan oder gab es das schon? Hat es schon jemand vor Ihnen gefunden?

Dr. Martin Stief: Das Bild ist tatsächlich relativ bekannt. Das kann man sich auch in Lichtenberg in der Ausstellung angucken, denn der Mensch hinter der Maske oder der Mensch mit der Maske ist Tom Sello, also der Landesbeauftragte für SED-Diktatur in Berlin und Umweltaktivist. Das Bild ist schon relativ bekannt und stammt übrigens aus dem Operativen Vorgang "Ventil".

Maximilian Schönherr: Die Volkspolizisten, die dann die Verhaftungen durchführten, sagten – das erwähnen Sie auch in dem Buch –, das fühlte sich, für einen von denen zumindest, seltsam an, weil: das sind ja Bürger, die mal ein gutes Beispiel abgeben wollen, weil sie eben nicht mit dem Auto fahren, sondern mit dem Fahrrad fahren. Das sind ja Bürger, die tun uns eigentlich nichts. Also, wirklich sehr ambivalent, die jetzt auch noch zu verhaften.

Dr. Martin Stief: Ja, ganz eindeutig. Also, das beklagen tatsächlich auch die Volkspolizisten, die dann sozusagen nach vorne delegiert werden von der Stasi, dass sie sagen: Ja, für die Bevölkerung müssen wir hier gegen friedliche Radfahrer vorgehen und wir können doch überhaupt nicht begründen, warum. Also, diese politische Dimension wird natürlich auch ganz stark von staatlicher Seite oder von der SED-Seite hineingetragen. Man will eben nicht, dass da Leute mit dem Fahrrad demonstrieren und sagen: Uns stinkt's, jetzt macht mal was für die Umwelt! Und man weiß auf der anderen Seite: Wir haben jetzt gerade keine Mittel, etwas dagegen zu tun, wir sind im Prinzip handlungsunfähig. Deswegen wollte man das unterbinden und da geht die Stasi, gerade in den frühen 80er-Jahren, wirklich sehr sehr rabiat vor.

Maximilian Schönherr: Alles nach dem "Spiegel"-Artikel 1980, da hat sich bei der Stasi ein Schalter umgelegt. Plötzlich hatten sie was zu tun. Kann man das so sagen?

Dr. Martin Stief: Genau, das ist der ausschlaggebende Punkt. Es gibt jetzt die deutsch-deutsche Ebene, wir sind jetzt wieder im deutsch-deutschen Systemkonflikt. Und die Umweltfrage schafft es im Oktober 1980 durch den "Spiegel"-Artikel sozusagen auf die Ebene der Systemauseinandersetzung – aus Sicht der Stasi. Gleichzeitig ermittelt die Stasi: Oh, bei uns in der Bevölkerung gibt es aber ganz schön viele Menschen, die sich schon mit dem Thema auseinandersetzen. Man fürchtet, dass es zu einer Umweltbewegung analog der Umweltbewegung in der Bundesrepublik kommen könnte, und das will man von Anfang an unterbinden. Das macht man einerseits eben durch Überwachung und Repression mittels der Stasi, auf der anderen Seite gründet man die "Gesellschaft für Natur und Umwelt" im Kulturbund und die soll so eine Art Auffangbecken für ökologisch Interessierte, für Umweltschützer werden, damit die nicht in die Umweltgruppen der Kirche gehen, sondern eben in das staatliche Angebot. Funktioniert aber nicht, weil es zu unattraktiv ist für die allermeisten.

Maximilian Schönherr: FDJ sollte da auch mitspielen, also dass man einen Pool bildet für die Jugendlichen, die kreativ dann für den Sozialismus Umweltpolitik machen.

Dr. Martin Stief: Genau. Natürlich, das war immer die Idee der Stasi: Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und da müssen wir jetzt alle mit reinholen. Und die FDJ ist eben die Jugendbeauftragte, also die Institution, die die Jugend bespielen und bespaßen soll, und deswegen sagt man: Macht doch mal was. Genauso ist es aber auch die "Urania", dass man sagt: Bietet doch mehr Vorträge oder Weiterbildungen für Jugendliche an. Dabei unterschätzt man natürlich: Denen geht es nicht ausschließlich um Umwelt, sondern denen geht es natürlich auch vielmehr um grundlegende Fragen. Es geht eben auch darum, für mehr Umweltschutz eben streiten und protestieren oder demonstrieren zu dürfen.

Maximilian Schönherr: Blieb es denn bei den Fahrraddemos bis 1983? Sind die Fahrraddemos das Bild, das wir von der DDR-Umweltbewegung haben müssen, oder ging das dann in die Kirchen rein und hat sich verloren oder verschärft?

Dr. Martin Stief: Also, in der Anfangsphase. Es gibt natürlich Baumpflanzaktionen, die funktionieren am Anfang sogar noch in Kooperation mit staatlicher Seite, zum Beispiel in Schwerin. Und Fahrraddemonstrationen, das war für mich so: Da wird es politisch und jetzt gehen wir in den öffentlichen Raum. Jetzt pflanzen wir nicht nur Bäume und jetzt hinterfragen wir nicht nur uns selber – Was können wir konkret tun? –, sondern mit dem Fahrrad tritt sozusagen die Forderung in den politischen Raum: Macht mehr für den Umweltschutz! Wir richten uns direkt an den Staat. Dann gibt es, wie gesagt, diese relativ repressive Phase. Und natürlich, in den Kirchen spielt das eine große Rolle. Seit den 70er-Jahren ist das Thema Bewahrung der Schöpfung das Thema, das auch die DDR-Kirchen umtreibt, erst ganz groß in der Friedensbewegung und dann kann man sagen, mit der Nachrüstung 1983, NATO-Doppelbeschluss, kämpfen ja beide Friedensbewegungen, im Osten wie im Westen, damit, dass das Engagement erlahmt, dass man desillusioniert ist und sich sagt: Wozu bringen wir eigentlich so eine riesige Bewegung auf die Straße, wenn die Politik ja dann doch anders entscheidet? Und da haben wir dann den Fall, dass in der DDR sich eben viele mehr der Bewahrung der Umwelt zurechnen, also dann eben sagen: Okay, wir haben jetzt zwar nicht die Nachrüstung verhindert, aber vielleicht können wir umwelttechnisch noch irgendwie was verhindern. Dann gibt es eben viele Gruppen und das muss man unterscheiden von Fall zu Fall.Es gibt Gruppen, die gründen sich wegen eines konkreten Problems. In Thüringen gibt es zum Beispiel eine Umweltgruppe, die kämpfte gegen so eine riesengroße Mastanlage für Schweine, weil rund um diese Mastanlage aufgrund des Ammoniaks die ganzen Wälder verstorben sind. Also, es war eine riesige Umweltbelastung. Und andere sind ein bisschen abstrakter. Denen geht es halt schon stärker um Demokratisierung, um Beteiligung, um Transparenz. Dann gibt es viele, die vernetzen sich, viele geben auch – sagen wir – Star-Zeitschriften, also Periodika, Zeitschriften, Informationsblätter im Selbstverlag heraus. Und das sind so die 80er-Jahre. Da gibt es nicht mehr die großen Aktionen, sondern eher so vernetzen, informieren, Ausstellungen organisieren und immer so kleinere Aktionen. Ich beschreibe in meinem Buch so eine Aktion in Bitterfeld über das Müllsammeln. Also, die bauen so ein zweieinhalb, drei Meter großen Müllmann. Und das ist eben für die Umweltbewegung der DDR auch was Spezifisches. Ich meine, das ist sehr protestantisch geprägt, dass es sich immer an den Einzelnen richtet und es heißt: Reflektiere dich selber mal, dich und deinen Umgang mit den uns zur Verfügung stehenden Ressourcen. Musst du wirklich so viel Müll--, musst du so viel Auto fahren? Also diese ganzen Fragen. Und für mich war immer die Frage: Wie anschlussfähig ist das eigentlich in einer Gesellschaft, die in der Hauptsache darüber klagt, dass die Versorgung eben gerade nicht klappt, dass es eben an allem mangelt, dass man permanent irgendwie suchen muss und dass die Wirtschaft überhaupt nicht funktioniert? Und da meinte ich, war das nicht so anschlussfähig.Ganz am Ende der 80er-Jahre – das ist für mich so ein ganz wichtiger Punkt – gibt es dann das "Grün-ökologische Netzwerk Arche", das sich gründet, und die sind – ja, wie soll man sagen? – komplett anders gestrickt. Die sind viel radikaler. Also, die wollen wirklich das Versagen des Staates öffentlich machen und wollen nicht nur eine Eingabe schreiben oder sagen: Wie sollst du dich besser verhalten. Sondern wir gehen jetzt wirklich mit der großen Keule ran und zeigen dem Staat, dass es so nicht weitergehen kann, sondern dass was passieren muss. Und das eben mit modernsten Mitteln, wenn man so möchte.

Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."

Maximilian Schönherr: Ich springe jetzt noch mal zurück zur Dienstanweisung 1/82 des Ministers der Staatssicherheit, also Mielke. Ich zitiere mal aus Ihrem Buch: "Das Ziel der politisch-operativen Sicherung der Volkswirtschaft der DDR besteht in der Vorbeugung, rechtzeitigen Aufdeckung, konsequenten Bekämpfung und Verhinderung aller subversiven Angriffe. In der vorbeugenden Verhinderung von Störungen und Schäden im Reproduktionsprozess sowie in der Unterstützung der staatlichen und wirtschaftsleitenden Organe zur Gewährleistung einer hohen inneren Stabilität in allen volkswirtschaftlichen Bereichen, Zweigen, Wirtschaftseinheiten und -prozessen." Das ist eine Dienstanweisung, die genau dahin zielt. Oder war die allgemeiner?

Dr. Martin Stief: Das ist eine ganz wichtige Dienstanweisung, weil sie eigentlich zeigt, womit die politische Geheimpolizei der DDR sich mitunter befasste oder befassen musste. Maria Haendcke-Hoppe-Arndt hat diese Dienstanweisung, wie ich finde, vollkommen zu Recht als so ein Eingeständnis des Verschleißes, des Stillstands beschrieben. Denn Sie sehen, dadrinnen ist nichts über Investitionen gesagt, dadrinnen ist nichts über Hightech oder Hochtechnologie gesagt, sondern das ist nur: Wir müssen irgendwie unsere maroden Industrieanlagen so absichern, dass sie weiterproduzieren können. Und dafür fühlt sich unter anderem auch die Staatssicherheit verantwortlich. Was sie nicht mehr macht, ist, irgendwelche Saboteure oder Agenten zu suchen, die vermeintlich irgendwelche Brände legen, denn das ist etwas, was sie ab den späten 60er-, frühen 70er-Jahren, würde ich sagen, wirklich ad acta legen. Sie wissen: Bei uns in der Industrie brennt es und explodiert es ständig, weil wir an total verschlissenen und maroden Anlagen arbeiten. Und jetzt versucht die Stasi halt, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln das zu tun, um zumindest die Brände, Explosionen, Störungen und Havarien eben etwas zu reduzieren, aber mit wenig Erfolg.

Maximilian Schönherr: Dazu passt auch die Problematik, sage ich mal, mit Strafgefangenen. Es gab - habe ich nachgelesen - ein Arbeitslager in Bitterfeld, und zwar ab 1952, damals nur für Frauen, später dann im Chemiekombinat Bitterfeld und Braunkohlenkombinat Bitterfeld. Da mussten Strafgefangene - man kann sagen - Zwangsarbeiten machen, nämlich unter extrem verschärften Bedingungen, wo man den normalen DDR-Bürger nicht ranließe, also Aluminium herstellende Pressen, die zu heiß wurden und an denen die sich dauernd die Arme dann verbrannten. Quecksilber ist aber das Stichwort. Und da hat die Stasi auch bestimmte Regelungen festgelegt. Also, wenn der Urin dann schmierig-grün war, hat man dem Strafgefangenen gesagt: Du hast uns nicht deinen Urin, sondern irgendein Schweröl abgeliefert.

Dr. Martin Stief: Also, Strafgefangene und auch Bausoldaten sind zwei Gruppen, die immer da zum Einsatz kommen, wo sich keine Zivilbeschäftigten mehr finden. Der Stasi, das würde ich noch etwas differenzierter sehen, wäre es viel lieber gewesen, wenn man zivile Arbeitskräfte für die Bereiche gehabt hätte, weil Strafgefangene und Bausoldaten eben aus Sicht der Stasi einer besonderen Überwachung bedurften. Was hinzukommt, ist, dass in Bitterfeld auch viele politische Häftlinge, also Leute, die wegen versuchter Republikflucht oder Ähnlichem verurteilt waren, zum Einsatz kamen.Den Fall, den Sie beschreiben: Wir haben halt Anfang der 80er-Jahre in Bitterfeld zwei Fälle von sogenannten Quecksilbervergiftungen. Und zwar kam Quecksilber zum Einsatz bei der Chlorherstellung und Bitterfeld war der weltweit erste Großbetrieb für Chlorherstellung. Und in dieser sogenannten Chlorelektrolyse kommt eben viel Quecksilber zum Einsatz. Das Problem ist, dieser Bau entstand noch im Kaiserreich und wurde dann - ich glaube, kurz vorm Zweiten Weltkrieg - einmal generalüberholt und danach nie wieder. Der war also extrem marode. Da stürzten die Decken ein und die Böden. Und die Strafgefangenen, das waren die sogenannten HG-Sammler - also HG für Quecksilber - mussten wirklich mit Besen und Schaufel Quecksilber vom Boden auffegen, in Eimer und dann zurück in die Elektrolyse. Und da kam es eben immer wieder zu hohen Überschreitungen der Quecksilberkonzentration im Kreislauf und eben auch zu erhöhten Quecksilberausscheidungen im Urin. Die Urinprobe, die Sie gerade beschrieben haben, wurde damals vom Labor nicht angenommen, weil man sagte: Das kann keine echte Urinprobe sein. Fatalerweise war es aber eine und der Strafgefangene verstirbt kurze Zeit danach an Nieren- oder Leberversagen aufgrund dieser Quecksilberintoxikation.Und das bringt die Stasi auf den Plan, weil kurze Zeit später ein zweiter Strafgefangener an einer Quecksilbervergiftung verstirbt. Das hätte die Stasi gar nicht so sehr interessiert. Das Problem ist: die Frankfurter Allgemeine Zeitung macht das Thema groß auf unter dem Titel "Todeskommando Bitterfeld" und beschreibt eben die Zustände, und zwar auf Grundlage der Berichte ehemaliger Strafgefangener, die genau in diesen Bereichen eingesetzt waren. Also kommt die Stasi zu dem Plan: Okay, unsere Strafgefangenen werden jetzt intensiver überwacht, die kommen acht Wochen vor Haftentlassung da raus, damit die Quecksilberwerte im Kreislauf extrem absacken und dann im Westen kein Arzt mehr eine Quecksilberprobe nehmen kann, und die werden viel häufiger rausgelöst. Also, im Prinzip, muss man sagen, ging es den Strafgefangenen am Ende aufgrund dieser Maßnahmen der Stasi, um solche Zeitungsartikel dann zukünftig zu verhindern, fast besser als den Zivilangestellten, die tatsächlich mit Quecksilberkonzentrationen - ich glaube - 200 Mikrogramm pro Liter Urin waren geduldet. Ich habe Leute mit 5.000 Mikrogramm gefunden, dazu gab es Forschungsarbeiten. Aber ausschlaggebend ist: Für die Staatssicherheit war wichtig der Betrieb muss laufen und es darf keine negative Berichterstattung geben. Und deswegen kümmert man sich dann in der Folge wirklich um die Umsetzung dieser Arbeitsschutzmaßnahmen.

Maximilian Schönherr: Die Staatssicherheit hat verfügt oder empfohlen, dass die Urinuntersuchungen ausschließlich in Laboren des Chemiekombinats Bitterfeld durchgeführt wurden und der Hinweis auf Quecksilber im Hausarztschreiben unterblieb. Das heißt, der Hausarzt musste es gar nicht notieren. Es blieb gar nicht in der Krankenakte drin.

Dr. Martin Stief: Es ist tatsächlich unheimlich zynisch und das ist nicht nur Stasi. Ich habe kein Dokument finden können, wo drinstand, denen darf das nicht mitgeteilt werden. Also, das gab es alles nicht schriftlich. Das habe ich erst in Unterlagen gefunden aus dem Jahr 1989/90, wo dann explizit festgehalten war: Den Betroffenen werden ihre Quecksilberwerte übermittelt, anders als in der Vergangenheit. So in etwa steht es da. Also, da hat man den Hinweis, dass es vorher eben Praxis war, sie nicht zu informieren.Jetzt aber dazu auch die Verantwortung der Kombinate: Die Kombinate geben Leuten, die einen erhöhten Quecksilberwert haben, Prämien dafür, dass sie freiwillig auf eine Herauslösung aus dem Bereich, also in einen weniger belasteten Bereich zu gehen, [verzichten], sondern dass sie da bleiben für zwölf Monate in dem Bewusstsein, dass sie von Quecksilbervergiftungen bedroht sind. Dafür gibt es Prämien. Also, es gibt Anreize dafür, die eigene Gesundheit aufs Spiel zu setzen, dass der Betrieb da weiterläuft. Und in vielen Fällen ist es so, wie Sie sagen, dass denen die Werte nicht mal mitgeteilt wurden. Die wussten das noch nicht mal, obwohl es ihnen schlecht geht. Und die wenden sich dann an die sogenannte Gewerkschaft, an den FDGB, aber der kümmert sich auch nicht. Also, das ist ein Zusammenspiel von ganz vielen. Ohne zu weit zu gehen: Das war für mich auch wirklich erschreckend. Die ganzen Überwachungsinstitutionen - es gibt da das Wissenschaftlich-Technische Zentrum der chemischen Industrie - erteilen Ausnahmegenehmigungen über Jahre, Jahrzehnte. Es ist nicht, dass man sagt: Wir dulden den Zustand jetzt mal für ein halbes Jahr, bis ihr ein bestimmtes Ersatzteil oder Ventil besorgt habt. Nein! Über Jahre hinweg wissen die, da arbeiten Leute unter Bedingungen, die sie gesundheitlich beeinträchtigen, und es wird geduldet. Also, es ist ein Zusammenspiel von ganz ganz vielen Akteuren und die Stasi ist dabei nur einer.

Maximilian Schönherr: Und die Stasi ist eben sehr ambivalent, weil sie merkt, diese Zustände sind untragbar. Aber trotzdem darf das auf keinen Fall - vor allem, nachdem die West-Medien verschärft darüber berichten - zu einer staatskritischen Bewegung werden.

Dr. Martin Stief: Die Stasi versucht, glaube ich, Zeit zu kaufen, Zeit zu gewinnen. Man weiß: Bis Ende der 80er werden wir keinen großen Wurf machen und die Wirtschaft ist nicht imstande, hier was Großes zu leisten. Und jetzt will man sich Zeit erkaufen. Man hat, denke ich, vielleicht nicht Verständnis, aber es ist für die Stasi schon nachvollziehbar, dass die Leute diese Zustände, wie sie da herrschen, beklagen und kritisieren. Ich habe auch kaum Fälle gefunden, wo Leute wirklich sehr harsche Eingaben schreiben oder sich beschweren, dass die intensiv verfolgt wurden. Das gab es in Einzelfällen, aber es ist kein flächendeckendes Phänomen. Das ist eigentlich nur noch ein Dahinwurschteln, das ist eigentlich nur noch ein Wir müssen noch eine Woche oder einen Monat gewinnen.. Ich beschreibe das ja dann auch am Beispiel des Films "Bitteres aus Bitterfeld", wo die Stasi eigentlich, ja, schon fast resigniert sagt: Damit haben wir eigentlich gerechnet, wir wussten ja, dass es irgendwann kommt; wir wussten jetzt nicht, wer und in welcher Form, aber das war nur eine Frage der Zeit, dass irgendwann eine Umweltgruppe einen Film über diesen Umweltskandal hier bei uns dreht und im West-Fernsehen präsentiert.

Dr. Martin Stief: "Kontraste", genau. 1988, im September.

Maximilian Schönherr: Ich will noch mal auf Wismut kommen, also den Uranabbau. Hatte man da ähnliche Problematiken? Gab es da Leute, die sich zumindest versuchten zu wehren gegen diese Problematik? Es waren ja auch viele Strafgefangene dort, aus Bautzen zum Beispiel, kenne ich aus der eigenen Verwandtschaft einen Fall. War die Stasi da auch?

Dr. Martin Stief: Wismut war einer der am breitesten von der Stasi überwachten Komplexe. Das muss man immer von der Zeit her sehen, aber in den 50er-/60er-Jahren war das ein von der Stasi unheimlich dicht überwachter Bereich, gleichzeitig natürlich auch noch extrem überwacht aufgrund der sowjetischen Präsenz. Zum ganzen Umweltbereich Wismut kann ich tatsächlich nicht viel sagen, weil das eine unheimlich quellenintensive Arbeit ist. Ich musste mich wirklich auf dieses Chemiedreieck konzentrieren, weil man die Informationen eben gerade nicht in den Stasi-Unterlagen en masse findet, sondern man muss in viele andere Archive. Ich war im Landesarchiv Sachsen-Anhalt in Merseburg, habe mir da unheimlich viel angeguckt, habe mir die Kreisarchive und die Stadtarchive angeguckt. Eigentlich müsste man auch Unternehmensarchive, insofern die vorhanden sind, angucken. Deswegen war es für mich nicht möglich, noch die Wismut anzugucken. Michael Beleites hat das zur Wismut ja in den 80er-Jahren schon intensiv mit seiner "Pechblende" öffentlich gemacht und wenn man ihm folgt, ist es ganz ähnlich wie auch im Chemiedreieck. Da ist eben auch eine Resignation. Man ist eben abhängig vom Arbeitgeber Wismut und man verdient da auch gut. Aber inwieweit da sozusagen die Bevölkerungsreaktion ähnlich derer war, wie ich sie im Chemiedreieck beschreibe, das mag ich jetzt nicht beurteilen können.

Maximilian Schönherr: Hätten Sie das Buch schreiben können ohne die Akten im Stasi-Unterlagen-Archiv?

Dr. Martin Stief: Also, ein Buch über die Stasi und die Umweltzerstörung ohne das Stasi-Unterlagen-Archiv ist natürlich nicht möglich. [lacht] Ich glaube, das zeigt auch den Wert der Stasi-Unterlagen für Fragen abseits der Stasi. Und das war bei mir wirklich der große Kernbereich: Bevölkerungsreaktion, Bevölkerungsstimmung. Wie gehen die damit eigentlich um und welche Reaktionen gibt es? Es ist nur unheimlich schwierig, an die entsprechenden Akten zu kommen. Es ist extrem aufwendig und schwierig.

Dr. Martin Stief: Weil wir - das Stasi-Unterlagen-Archiv - ja kein historisches Archiv sind, sondern weil wir uns alles möglichst über Personen und Personennamen erarbeiten müssen. Das heißt, ich musste erst mal herausbekommen, wer eigentlich im Umweltbereich im Chemiedreieck tätig ist, also wie die heißen. Das Ironische dabei ist, dass ich da eigentlich so vorgegangen bin wie die Stasi 30 Jahre vorher. Die ist nämlich auch in jedes einzelne Kombinat und hat sich da Namenslisten geben lassen. Ich habe jetzt keine Namenslisten bekommen, sondern musste mir die selber erschließen, aber im Prinzip bin ich ähnlich vorgegangen wie die Stasi selber. Ich musste halt gucken: Wer ist Umweltbeauftragter, wer ist Emissionsbeauftragter, wer hat an welcher Stelle was zu sagen, wie heißen die? Und erst wenn ich an deren Akten komme - entweder waren die inoffizielle Mitarbeiter oder die wurden von der Stasi überwacht -, erst dann hatte ich den Zugriff auf die Bestände, die mich interessieren. Denn alles das, was ein inoffizieller Mitarbeiter seinem Führungsoffizier übergibt, ist in dieser IM-Akte abgelegt. Und das sind dann die Fundstücke, weil da die Unterlagen sind, die häufig nicht im Betriebs- oder im Landesarchiv liegen. Das sind nämlich häufig die gefälschten oder die getürkten Unterlagen. Und die Probleme werden dann deutlich in den Materialien, die der Stasi übergeben werden.

Maximilian Schönherr: Das heißt, Sie sind nicht aufgebrochen mit diesem Buch im Hinterkopf: Jetzt suche ich nach dem Stichwort Umweltaktivisten in dem Archiv, sondern eher nach Rolf Schöppe?

Dr. Martin Stief: Der Bereich Umweltbewegung/Umweltgruppen ist ein unheimlich breit beschriebener Bereich, schon für die DDR, weil die Umweltgruppen in den 80er-Jahren wirklich eine ganz wesentliche Säule dieser Oppositionsbewegung sind. Und es war für mich jetzt nicht ein Anlass, noch mal zu sagen: Jetzt schreibe ich noch mal eine Geschichte der DDR-Umweltbewegung. Ich wollte eigentlich - und das soll man jetzt auch nicht falsch verstehen: Vieles, was darüber geschrieben wurde, wurde auch von ehemaligen Umweltschutzakteuren selbst geschrieben. Da endete der Blick häufig eben am Ende der Gruppen und da wurde eben die breite Bevölkerung nicht so wahrgenommen. Mich hat aber die Erklärung - ja, wir waren halt Umweltaktivisten und deshalb hat uns die Stasi verfolgt - als Antwort nicht befriedigt. Und deswegen habe ich mir überlegt: Wie kann man sich dem nähern? Für mich liegt die Antwort eben viel näher: dass die Stasi einfach fürchtete, dass das, was die Umweltgruppen und die Umweltaktivisten fordern und beklagen, in der Gesellschaft schon so breit war, dass es eigentlich auf fruchtbaren Boden fiel. Und das fürchtete die Stasi: dass die Umweltgruppen es schaffen, mit ihren Anliegen und mit ihren Forderungen die breite Gesellschaft zu erreichen, wirklich eine soziale Bewegung zu starten. Das wollte man unterbinden.

Maximilian Schönherr: Und haben Sie den Eindruck, nach den Akten, die Sie im Stasi-Unterlagen-Archiv fanden, dass es noch zehnmal mehr Unterlagen gibt, wo man halt gezielt noch mal suchen müsste - es sind ja 111 Kilometer Akten angeblich -, und dass meinetwegen bei Kilometer 99 noch fünf Aktenordner liegen, die ein Volltreffer wären?

Dr. Martin Stief: Ich habe mich auch noch mit anderen Bereichen immer mal wieder beschäftigt und bin dann doch hier hin und wieder enttäuscht darüber, dass es in bestimmten Bezirken doch weniger gibt, als man erwartet. Aber ich bin da gar nicht so pessimistisch, weil ich einfach weiß, wie schwierig es ist, da vorzustoßen. Das kann man nicht innerhalb von zwei, drei Wochen mal abklären und sagen: Jetzt gucke ich da mal. Es ist wirklich eine langwierige Vorrecherche, bevor ich dann richtig tief einsteigen kann. Ich denke, für den einen oder anderen Bereich liegen da sicherlich noch interessante Akten, die dann zu weiteren Fragen führen, die man dann eben auch wieder mit Stasi-Akten oder auch mit anderen Akten beantworten kann. Man sollte ja nicht nur in einem Archiv, sondern man sollte schon breit gucken. Dann ergibt sich eben vieles.

Maximilian Schönherr: Okay. Woran sitzen Sie heute? Wir treffen uns ja an einem Mittag, an einem Montagmittag. Was haben Sie heute Vormittag gemacht?

Dr. Martin Stief: Ich habe heute Vormittag den Editionsjahrgang der geheimen Berichte an die SED-Führung des Jahres 1984 bearbeitet.

Dr. Martin Stief: Weil ich Mitarbeiter im Editionsprojekt bin. Wir geben die geheimen Berichte, die die Stasi für die SED- und Staatsführung verfasst hat, als Edition heraus, die haben wir als Datenbank oder als Buch. Ich habe aktuell den Jahrgang 1982 abgeschlossen und beginne jetzt mit dem Jahrgang 1984 – ein Jahrgang übrigens, der sehr viel zur Umweltthematik enthält, wie ich feststellen durfte.

Maximilian Schönherr: Ich würde sagen: Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Martin Stief: Danke Ihnen! [lacht]

Dagmar Hovestädt: Das war ein Gespräch mit meinem Kollegen Dr. Martin Stief über die Stasi im Chemierevier Halle-Bitterfeld. Seine Studie dazu heißt: "Stellt die Bürger ruhig – Staatssicherheit und Umweltzerstörung im Chemierevier Halle-Bitterfeld"

Maximilian Schönherr: Unser Podcast endet mit einer akustischen Begegnung mit dem riesigen Audio-Pool des Stasi-Unterlagen-Archivs, wie immer ohne inhaltlichen Zusammenhang zu dem, was wir vorher besprochen haben.

Elke Steinbach: Mein Name ist Elke Steinbach und ich kümmere mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen um die Audio-Überlieferung des MfS. Auch Aufnahmen in Fremdsprachen finden sich in der Audio-Überlieferung. Neben Englisch, Französisch und Russisch gibt es Aufzeichnungen in allen Sprachen des ehemaligen Ostblocks sowie in Arabisch, Italienisch, Griechisch und sogar Japanisch. Sie finden sich zum Beispiel in Vernehmungen und Prozessen, bei der Telefonüberwachung der in der DDR ansässigen Botschaften sowie bei der Überwachung betrieblicher und privater Telefonanschlüsse.Zu Schulungszwecken gab es Sprachkurse aus DDR-Produktion, aber auch Mitschnitte von westlichen Medienanstalten, in unserem Fall heute von der BBC. Gern wüsste ich, welche Gedanken ein MfS-Mitarbeiter beim Erlernen der englischen Sprache anhand der folgenden Themen hatte. Es handelt sich hier um einen Zusammenschnitt zweier Teilstücke von 2:30 Minuten. Die vollen 172 Minuten dieses wunderbaren Kurses kann ich leider an dieser Stelle nicht zu Gehör bringen.

[Sprecherin:] Yes, the way. W-a-y. The way through life.

[Sprecher:] Quite right. We don't know the way.

[Sprecherin:] We're all waiting for the answers.

[Sprecher:] Quite right. We're all waiting for the answers.

[Sprecherin:] We're all looking for the way.

[Sprecher:] Quite right. We're all looking for the way.

[Sprecherin:] I've been waiting for the answers for years.

[Sprecher:] So have we all.

[Sprecherin:] I've been looking for the way for years.

[Sprecher:] So have we all.

[Sprecherin:] I've been waiting for the answers and looking for the way since I was a child.

[Sprecher:] So have we all.

[Sprecherin:] A Sign. S-i-g-n. Sign.

[Sprecher:] Oh, you mean a sign to show you the way through life.

[Sprecherin:] Yes, that's right. I've been looking for a sign for years, since I was a child.

[Sprecher:] So have we all.

[Sprecherin:] Yes, we're all waiting and looking for things.

[Sprecher 1:] Hello. Now in Britain there is a democracy.

[Sprecherin 2:] We in Britain have a democracy.

[Sprecher 2:] We in Britain have a democracy. Yes, we have a democracy.

[Sprecher 1:] We believe in liberty.

[Sprecher 1:] We believe in democracy.

[Sprecher 1:] And we believe in the Royal Family.

[Sprecher 1:] We have a political system and it's democratic. We have a democratic political system.

[Mundharmonika und Gesang: We have a democratic political system and we believe in it, we believe in it.]

[Sprecher 1:] Yes, we have parties and we vote for them.

[Sprecherin 2:] I'm conservative, so I vote for the Conservative Party.

[Sprecher 2:] I'm labour, so I vote for the Labour Party.

[Sprecher 3:] I'm liberal, so I vote for the Liberal Party.

[Sprecher 3:] And the Liberal party.

[Sprecher 1:] We have parties. We vote for them.

[Sprecherin 2:] I vote for the Conservative Party.

[Sprecher 2:] I vote for the Labour Party.

[Sprecher 3:] I vote for the Liberal Party.

[Sprecher 1:] To vote for. V-o-t-e. Vote.

[Sprecher 1:] We have a democratic political system.

[Mundharmonika und Gesang: We have a democratic political system and we believe in it, we believe in it.]

[Sprecher 1:] Yes, and we vote, when there's an election.

[Sprecherin 2:] When there's an election, I vote for the Conservative Party.

[Sprecher 2:] When there's an election, I vote for the Labour Party.

[Sprecher 3:] When there's an election, I vote for the Liberal Party.

[Sprecher 1:] Yes, we vote, when there's an election.

[Sprecherin 2:] We believe in liberty.

[Sprecher 2:] We believe in democracy.

[Sprecher 3:] And we believe in the Royal Family.

[Sprecher 1:] You see, we have a democratic political system ...

[Mundharmonika und Gesang: ... and we believe in it, we believe in it.]

Sprecher: den offiziellen Podcast des Stasi-Unterlagen-Archivs."

Staatssicherheit und Umweltzerstörung im Chemierevier Halle-Bitterfeld

Martin Stiefs Publikation zu den Umweltkonflikten im Chemierevier Halle-Bitterfeld. Die Studie zeigt, wie die Stasi angesichts einer zunehmend umweltbewussten Bevölkerung und handlungsunfähiger Behörden und Betriebe Umweltprobleme vertuschte, für eine strikte Geheimhaltung von Umweltdaten sorgte und die staatlich unabhängige Umweltbewegung observierte und bekämpfte.

Der Pleiße-Gedenkmarsch vom 5. Juni 1988

Die Staatssicherheit überwachte sehr genau kirchliche Umweltgruppen, die öffentlich ökologische Missstände in der DDR anprangerten. Über die geplanten Aktivitäten anlässlich des Weltumwelttages am 5. Juni 1988 war die Stasi bestens informiert. Ein Themenbeitrag zur Leipziger Umweltbewegung.

Ein Themenbeitrag zur Überwachung und Bekämpfung von Umweltschutzgruppen durch das MfS in der Stadt Dresden.

Die Leipziger Arbeitsgruppe Umweltschutz (AGU) informierte als eine der ersten Ökologiegruppen in der DDR die Öffentlichkeit über Umweltprobleme. Die Stasi überwachte die Gruppe, konnte aber auch mithilfe inoffizieller Mitarbeiter (IM) ihre Aktivitäten nicht unterbinden. mehr

Mit dem sogenannten Staatsplan-Thema 14.25 wurden in der DDR 1974 staatliche Vorgaben für den Aufbau eines geheimen und umfassenden Systems des staatlich organisierten Dopings bei Leistungssportlern gemacht und eine Grundlage für die Entwicklung entsprechender Substanzen gelegt. Im Gespräch ...

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Im Chemierevier Halle-Bitterfeld in der DDR regte sich in den 1980er Jahren zunehmend Protest der Bevölkerung gegen die massive Umweltzerstörung durch die Industrieproduktion. Martin Stief erklärt im Gespräch, wie die Stasi angesichts einer zunehmend umweltbewussten Bevölkerung und ...

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In der Videoserie "40 Dinge. Fundstücke aus 40 Jahren Stasi" präsentiert der Historiker Philipp Springer eine Auswahl von ungewöhnlichen Dingen und Unterlagen aus dem Stasi-Unterlagen-Archiv. Im Gespräch erläutert er seine Herangehensweise, die Recherche und das Prinzip der großen ...

Jedes Jahr der DDR seit 1953 wird in der Edition "Die DDR im Blick der Stasi" analysiert. Das Jahr 1983, Gegenstand des Gesprächs, war durch die global eskalierte nukleare Konfrontation und die deshalb erstarkende Friedensbewegung, den drohenden Staatsbankrott der DDR und ein frustrierendes ...

Auch die Stasi investierte zur heimlichen Informationsbeschaffung in Technik wie Spionagekameras, Wanzen und sonstiges Gerät. Zuständig war dafür der OTS, der operativ-technische Sektor. Detlev Vreisleben beschäftigt sich schon seit Jahren mit den Unterlagen dieses Bereichs und gibt Einsichten ...

Jedes Jahr werden Hunderte von Forschungsanträgen gestellt. Daniel Bonenkamp, Promotionsstipendiat der Stiftung Aufarbeitung, beschreibt in dieser Folge, wie er zum Thema Stasi gekommen ist, was er über eine fast vergessene Desinformationskampagne der Stasi aus dem Jahr 1968 für seine ...

Im Juli 1988 spielte der US-amerikanische Rockmusiker Bruce Springsteen vor Hundertausenden von Fans in Ost-Berlin. Was lange unvorstellbar war, wurde Realität: Rockmusik aus dem Westen konnte in der DDR gefeiert werden. Aber die Begeisterung junger Mensch für Beat, Rock, Punk und andere Musik ...

Die ersten Jahre der DDR waren eine besonders repressive Phase. Die ostdeutschen Kommunisten bauten zunächst unter Anleitung der sowjetischen Besatzer und dann zunehmend in Eigenregie ihre Machtbasis und ihren Herrschaftsapparat aus. 1950 wurde die Staatssicherheit zu einem eigenen Ministerium ...

Im geteilten Deutschland waren Pakete und Päckchen an Verwandte und Bekannte "drüben" nicht nur Ausdruck der Pflege von Familienbanden. Der Karton aus dem Westen mit Kaffee und Orangen zeigte auch die Wirtschaftskraft des Westens sowie im Gegenzug das Paket mit Erzgebirge-Schnitzwerken eine ...

Am 26. Juni 1981 wurde das letzte Todesurteil der DDR vollstreckt. Werner Teske, 41 Jahre, Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit, Hinrichtung durch Nahschuss. Warum endete die vielversprechende Karriere des jungen Wirtschaftswissenschaftlers in der Todeszelle? Autor Gunter Lange ...

Mit dem 17. Juni 2021 ging das Stasi-Unterlagen-Archiv in die Verantwortung des Bundesarchivs über, der dritte und letzte Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen Roland Jahn (68) ist aus dem Amt ausgeschieden. Die Podcast-Gastgeber Dagmar Hovestädt und Maximilian Schönherr sprechen über ...

Im späten September 1969 elektrisierte ein Gerücht junge Menschen in der DDR: Die Rolling Stones sollten ein Konzert auf dem Dach des Springer-Hochhauses in West-Berlin geben. Viele Hunderte versammelten sich am vermeintlichen Konzerttag auf der Ost-Seite der Mauer. Volkspolizei und Stasi trieb ...

Am 13. August 1961 begann die DDR, die Grenze zwischen Ost- und West-Berlin durch eine Mauer zu verfestigen. Zwei Monate später zündete der Ofen- und Landarbeiter Walter Praedel in Ost-Brandenburg aus Protest eine Scheune an. Stasi und DDR-Justiz machten den Strafprozess zu einem politischen ...

Im August 1992 richtete der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen einen eigenen Forschungsbereich ein. Damals begann Dr. Roger Engelmann seine Arbeit in der Behörde. Fast 30 Jahre lang erkundete und erforschte der Münchner Historiker die Stasi-Unterlagen und teilte seine Erkenntnisse in ...

Von heute aus betrachtet vollzog sich das Ende der DDR rasant. Doch der Weg des Widerstands dahin war komplex. Viele Menschen begehrten an vielen Stellen auf unterschiedliche Weise auf. Das Buch "Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution" von Peter Wensierski handelt davon, wie der Boden für ...

Die Kontaktaufnahme mit westlichen Medien konnte in der DDR jederzeit strafbar sein. Das hat viele DDR-Bürgerinnen und Bürger dennoch nicht davon abgehalten, ihre Kritik und Gedanken an die Sendung "Briefe ohne Unterschrift" der BBC zu senden - nicht unbemerkt von der Stasi. Diese vergessene ...

Das Wirken der Stasi im Bezirk Neubrandenburg ist für den Redakteur der dortigen Zeitung "Nordkurier" eine immer noch wichtige lokale Geschichte. Frank Wilhelm nutzt für viele seiner Recherchen zur regionalen Geschichte das Stasi-Unterlagen-Archiv. Anhand der Akten untersuchte er unter anderem ...

Nach 1990 setzten die ehemaligen Chefs der HV A, der Hauptverwaltung A, zuständig für die Auslandsspionage im Ministerium für Staatssicherheit, alles daran, ihre Arbeit vom Rest des Ministeriums abzusetzen. Aber wie "anders" war die HV A wirklich? In dieser Folge tauschen sich dazu das ...

Das Stasi-Unterlagen-Archiv verwahrt den größten Anteil seines Bestandes in Berlin, ca. 50 Kilometer Akten, sowie die weiteren gut 61 Kilometer an zwölf weiteren Standorten in den östlichen Bundesländern, in den sogenannten Außenstellen. Stefan Walter leitet die Außenstelle Leipzig und ...

Die Freiheit der Forschung war in der DDR durch das politische Misstrauen geprägt, das die Staatspartei SED ihren Spitzenwissenschaftlern entgegenbrachte. Schlussendlich schadete sie damit dem eigenen wissenschaftlichen Fortschritt. Reinhard Buthmann, langjähriger Forscher beim BStU und zuvor in ...

Im Sommer 2013 liest Petra Riemann in der Zeitung: Ihr Vater, der Schauspieler Lutz Riemann, war ein umtriebiger IM der Stasi. Er dementiert das nicht, aber weist all ihre Fragen dazu zurück. Die Tochter begibt sich auf Spurensuche, die sie ins Stasi-Unterlagen-Archiv führt. Zusammen mit ihrem ...

Über das Binnenverhältnis der Geheimpolizeien Osteuropas gibt es viele allgemeine Annahmen und etliche Spurensuchen, aber nur wenige umfassende Studien. Dr. Tytus Jaskułowski schloss nun diese Forschungslücke mit seiner ausführlichen Veröffentlichung über die Stasi und die polnische ...

Das Jahr 2021 ist ein besonderes für das Stasi-Unterlagen-Archiv. Denn am 17. Juni wird es Teil des Bundesarchivs. Was das für die Nutzung der Akten bedeutet und was aus dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) wird, darüber spricht der derzeitige BStU Roland Jahn im Podcast mit ...

Dagmar Hovestädt und Maximilian Schönherr lassen das Podcast-Jahr 2020 von "111 Kilometer Akten" kurz Revue passieren.

Es begann im März 1982 mit der Verabschiedung eines Volkskammer-Gesetzes, das es möglich machen sollte, auch Frauen in der DDR zur Wehrpflicht einzuziehen. Eine kleine Gruppe von Frauen fand sich im Protest dagegen zusammen. Das führte bei der Stasi zur Entdeckung eines neuen Feindbildes: ...

Wie durchdringt man das Meer an Informationen, das die Stasi über die eigene Bevölkerung sammelte? In seiner neuen Studie beschreibt der Historiker Dr. Christian Booß, wie die Stasi die im sozialistischen Lager verbreitete Idee der Kybernetik für die Sammlung und Steuerung von Informationen ...

Die persönliche Akteneinsicht im Stasi-Unterlagen-Archiv dient auch heute noch vielen zur Aufklärung des eigenen Schicksals zu Zeiten der DDR. Sie ist eine zentrale Aufgabe des Stasi-Unterlagen-Archivs. Über drei Millionen Anträge gingen dazu seit 1992 ein. Susann Freitag ist eine von ca. 350 ...

Brandenburg-Görden gehörte mit seinen bis zu 3.500 Insassen zu den vier größten Haftorten in der DDR. Dr. Tobias Wunschik (BStU) hat in seiner Studie "Honeckers Zuchthaus" die Geschichte dieses Gefängnisses von 1949 bis 1989 untersucht. Ihn beschäftigen die Schicksale der Gefangenen sowie ...

Weit über zwei Millionen Fotos sind Teil des Bestand des Stasi-Unterlagen-Archivs. Dr. Philipp Springer hat in seiner Studie "Im Blick der Staatssicherheit" dieses visuelle Erbe der Stasi zum ersten Mal umfassend betrachtet und analysiert. Ein Gespräch über das Medium Fotografie im Alltag einer ...

Wie sind Menschen dazu gekommen, für die Stasi zu arbeiten? Die Berlinerin Salomea Genin, die 1939 als siebenjähriges Mädchen vor den Nazis nach Australien fliehen konnte, siedelte 1963 in die DDR über. Als überzeugte Kommunistin war sie lange offen für die inoffizielle Mitarbeit bei der ...

Am 4. September 1990 drangen mehr als 20 BürgerrechtlerInnen in die Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg ein und besetzten Räume in "Haus 7". Sie hatten Sorge, dass die von ihnen in der Friedlichen Revolution quer durch die DDR gesicherten Stasi-Unterlagen in der deutschen Einheit unter den ...

Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR unterhielt in Berlin-Hohenschönhausen sein eigenes zentrales Untersuchungsgefängnis. Innerhalb des Sperrbezirks der Haftanstalt befand sich ein geheim gehaltenes Haftkrankenhaus. Der Politologe Tobias Voigt hat im Stasi-Unterlagen-Archiv die ...

Im Stasi-Unterlagen-Archiv befinden sich etliche Kilometer Akten aus der NS-Zeit. Sie ermöglichen es, den Umgang mit den Tätern des Vernichtungslagers Auschwitz aus Sicht der DDR und insbesondere der Stasi nachzuvollziehen. Neben Henry Leide, dem Autor der BStU-Publikation "Auschwitz und ...

Abertausende Tonträger, Filme und Datenbänder des Stasi-Unterlagen-Archivs müssen in die Zukunft gerettet werden. Dr. Jens Niederhut, Archivar und Historiker, leitet seit 2017 das Referat Digitalisierung und erklärt die Details dieser Mammutaufgabe. Seine Begeisterung gilt zudem der ...

Im Sommer 1975 kam die "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" KSZE in Helsinki zu einem ersten Abschluss. Ost und West gingen aufeinander zu und verpflichteten sich, Grenzen zu respektieren und Menschenrechte allerorten zu gewährleisten. Welche Auswirkungen dieser Prozess ...

In den 1980er Jahren rekrutierte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) verstärkt Studierende aus dem arabischen Raum als Inoffizielle Mitarbeiter (IM). Die Politologin Dr. Sophia Hoffmann vom Leibniz-Zentrum Moderner Orient hat dieses wenig bekannte Kapitel der Stasi erforscht. Sie bringt ...

In der MfS-internen Juristischen Hochschule (JHS) wurde 1965 auch ein Lehrstuhl zur "operativen Psychologie" eröffnet. Die Lehrinhalte sind u.a. in Audio-Mitschnitten erhalten. Wie die Stasi die Psychologie einsetzte, das analysiert die Historikerin Prof. Dr. Daniela Münkel aus der ...

Im Rahmen des Forschungsverbundes "Landschaften der Verfolgung" wird erstmals in einem Datenprojekt eine quantitative und qualitative Bestandsaufnahme zur politischen Haft in der DDR erstellt. Dr. Michael Schäbitz leitet das Datenprojekt, das als eine zentrale Quelle einen Karteidatensatz der ...

Wie sehen eigentlich die Kinder und Enkelkinder der Menschen, die die DDR erlebt haben, die Friedliche Revolution und den Aktenzugang? Johannes Nichelmann (Autor: "Nachwendekinder", Jahrgang 1989), Dr. Kathrin Cholotta (Initiative "Dritte Generation Ost", Jahrgang 1977) und Karsten Huhn ...

Günter Bormann arbeitet seit 1993 beim BStU und ist heute Justiziar des Hauses. Er begleitete unter anderem einen langjährigen Rechtsstreit, bei dem Altkanzler Helmut Kohl vor 20 Jahren die Herausgabe von Stasi-Unterlagen zu seiner Person verhindern wollte. Bormann war auch an Arbeiten zur ...

Der erste westdeutsche Geheimdienst entstand 1946 im Auftrag der USA und hieß zunächst Organisation Gehlen. Was wusste die Organisation und der 1956 gegründete Bundesnachrichtendienst (BND) über die DDR und das Wirken der Stasi ? In dieser Folge tauschen sich Experten, die an der historischen ...

Im März 1989 stürzte der DDR-Flüchtling Winfried Freudenberg mit einem selbstgebauten Ballon in West-Berlin in den Tod. Die Künstlerin und Autorin Caroline Labusch hat die tragische Geschichte des letzten Mauertoten rekonstruiert. Im Gespräch reflektiert sie die Stasi-Akten, die sie für ihr ...

Dr. Karsten Jedlitschka arbeitet seit 2007 beim Stasi-Unterlagen-Archiv, zunächst im Archiv und seit 2017 betreut er die Anträge von Forschern und Journalisten, darunter auch solche zu Akten aus der NS-Zeit. Er hat zudem einen Faible für die Geschichte des Archivwesens.

Ab dem Dezember 1989 besetzten mutige Bürgerinnen und Bürger die Dienststellen der Stasi in Erfurt und anderen Städten der DDR und schließlich im Machtzentrum des Ministeriums für Staatssicherheit in Berlin. In unserem Podcast kommen zwei Zeitzeugen sowie ein Historiker zu Wort, der die ...

In Folge 2 spricht die Wissenschaftlerin Anne Pfautsch mit Maximilian Schönherr über ihre Suche nach historischen Quellen zur DDR-Fotografie und Familienforschung im ...

In der ersten Folge spricht Maximilian Schönherr mit dem Bundesbeauftragten Roland Jahn und Sprecherin Dagmar Hovestädt über ihre Biographien und was sie mit dem Stasi-Unterlagen-Archiv verbinden und wie es mit dem Archiv weitergeht.

Im Auftakt zum Podcast stellen die beiden Gastgeber, Dagmar Hovestädt, Sprecherin des BStU, und Maximilian Schönherr, freier Journalist und Gründer des Archivradios des SWR, die Idee zum Podcast und seine Inhalte vor.