Buchkritik zu »Von der Vermessung des Kosmos« - Spektrum der Wissenschaft

2022-03-04 08:14:35 By : Mr. Rickey Si

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Wo befinden wir uns? Auf einer Postkarte können Sie Ihre Straße, Ihre Stadt und wenn nötig auch Ihr Land problemlos angeben. Doch Kosmologinnen und Kosmologen wie Hélène Courtois wollen es genauer wissen. Planet Erde, das Sonnensystem, die Milchstraße … und dann? Dieser Frage widmen sich so genannte Kosmografen – die Geografen des Universums. Anstatt den Kosmos zu erobern, versuchen sie, eine möglichst akkurate Karte unserer Nachbarschaft anzufertigen.

In ihrem Buch »Von der Vermessung des Kosmos und der Entdeckung von Laniakea« nimmt uns die französische Astrophysikerin mit auf ihre 20 Jahre andauernde Reise durch den Kosmos, die zur Entdeckung des Supergalaxienhaufen Laniakea führte, dem auch die Milchstraße angehört. Im französischen Original erschien das Buch bereits 2016 und wurde im darauf folgenden Jahr mit dem Astronomie-Buchpreis »Prix Ciel et Espace« ausgezeichnet.

Courtois erklärt in ihrem Buch die Grundlagen und Fortschritte der kosmischen Entfernungsmessung anhand reichlicher Illustrationen und Bilder. Farbige Abbildungen finden sich jedoch gesammelt in der Mitte des Buchs – das ständige Hin- und Herblättern stört leider den Lesefluss. Durch kompakte Infoboxen über physikalische Details gelingt es Courtois, viele Themen anzuschneiden, ohne ihre Leserschaft zu überfordern: von physikalischen Grundlagen wie elektromagnetischen Wellen und der Leuchtkraft von Gestirnen bis zu komplexeren Inhalten wie der Dunklen Materie und dem kosmologischen Prinzip. Lediglich in der Mitte des Buchs häufen sich die zahlreichen Messmethoden, und man verliert leicht den Überblick.

Anders als in den meisten populärwissenschaftlichen Büchern geht es in diesem Werk nicht nur darum, Forschungsergebnisse leicht verdaulich aufzubereiten – die Autorin möchte auch den wissenschaftlichen Prozess als Ganzes präsentieren. So begegnet man im ersten Kapitel der Praktikantin Hélène des Observatoriums in Lyon und verlässt sie 20 Jahre später kurz nach der Entdeckung des Superhaufens Laniakea. Man begleitet sie auf ihren Forschungsreisen nach Australien und Hawaii, die mit sentimentalen Anekdoten über Vogelfotografie, die nächtlichen Geräusche der Kängurus und den Geschmack exotischer Früchte geschmückt sind. Gleichzeitig verschweigt die Autorin nicht die Kehrseiten: lange Nächte, monotone Arbeiten und erfolglose Messungen. Zuweilen unterwarf sie ihren Tagesrhythmus vollständig ihrer Forschung, als sie 480 Beobachtungsnächte in nur einem Jahr durchführte, indem sie über drei Zeitzonen hinweg arbeitete. Sie macht deutlich: Forschung ist kein ruhiger Fluss und selten eine reine Erfolgsgeschichte; Höhen und Tiefen gehören dazu.

Courtois macht außerdem den etwas halbherzigen Versuch, Frauen der Astrophysik sichtbar zu machen. Zwar bereichert sie das Buch mit fünf Biografien von Wissenschaftlerinnen, doch ihren Erfahrungen als Frau und Mutter unter diesen familienfeindlichen Arbeitsbedingungen sind nur zwei Sätze gewidmet; den Erinnerungen eines Potsdamer Astrophysikers an die Berliner Mauer hingegen eine ganze Seite. Zudem verzichtet die Autorin (und die Übersetzung) auf den Gebrauch gendergerechter Sprache.

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Insgesamt wollte das Buch an manchen Stellen vielleicht zu viel. Die Überleitungen zwischen Anekdoten und wissenschaftlichen Erklärungen klingen bisweilen etwas holprig. Der Erzählstil ist stellenweise zu blumig, mit einem Stich ins Kitschige. Zum Beispiel der Titel des Kapitels über die Auswahl einer geeigneten Spiralgalaxie: »Schönheitswettbewerb: Miss Spirale«.

Einen Überblick über die Methoden der Kosmografie liefert das Buch jedoch allemal, und durch Courtois' eigene Erfahrung wird es um eine für wissenschaftliche Bücher untypische persönliche Note bereichert. Insbesondere Leserinnen und Leser, die nicht nur an physikalischen Erklärungen, sondern auch am Prozess wissenschaftlicher Entdeckungen interessiert sind, werden an diesem Buch Freude finden.

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